24 Mai 2007

Gegen das Vergessen

Heute hat A. Geburtstag. Ich lernte ihn zum Beginn des Studiums über gemeinsame Bekannte kennen - und schätzen. A. war begeistereter Rollenspieler, und das wurde schnell zu einem verbindendem Merkmal zwischen uns - auch wenn man unser Verhältnis wohl neudeutsch als einen man crush meinerseits bezeichnen würde1. Es folgte eine gemeinsame Rollenspielrunde, überlappende Bekanntenkreise. Ich lernte A. als einen eloquenten und genialen Geschichtenerzähler kennen, aber auch als eine sehr private Person, die ungern über sich selbst oder die eigenen Probleme und Sorgen.
Dann war er plötzlich verschwunden. Ans Telefon seiner Studentwohnheimsbude ging jemand fremdes - sein Nachmieter, der auch gerne mal mit ihm gesprochen hätte. Nach einigen Nachforschungen meinerseits stellte sich heraus, dass A. sein Studium aus finanziellen Gründen abgebrochen hatte und erstmal zurück zu seinen Eltern gezogen war - 100 km entfernt. Im Laufe der Zeit kam es wieder zu einer Annäherung, hauptsächlich durch meine Beharlichkeit einerseits und eine Geburtstagsfete bei ihm andrerseits. Denn nicht nur mich hatte sein Verschwinden überrascht, alle seine Bekannten mußten erkennen, dass er wie vom Erdboden verschluckt war. Schließlich begann er erneut ein Studium in Dortmund, das jedoch unter keinem guten Stern stand. Wieder endete es damit, dass er zurück in seine Heimatstadt zog, diesmal jedoch blieb ein gewisser Kontakt erhalten. Gewisser, denn in seiner neuen Wohnung besaß A. kein Telefon. Kontakt zwischen ihm und seinem ehmaligen dortmunder Freundeskreis beschränkte sich weitestgehend auf mein auf gut Glück in seine Heimatstadt zu fahren und zu hoffen, ihn in seiner Wohnung vorzufinden. A. wurde - da er eine handwerkliche Ausbildung besaß - bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt, kam über die Runden. Der Kontakt wurde wieder etwas intensiviert, A. nahm häufig die mehr als einstündige Anreise zu unserer alten Rollenspielrunde auf sich.
Bis ich schließlich eines Tages vor seinem Mietshaus stand, und, da er nicht anwesend zu sein schien, eine Nachricht hinterlassen wollte. Da die Briefkästen im Haus (also jenseits der Haustür) angebracht waren, klingelte ich bei den Nachbarn - von denen ich erfuhr, dass er dort nicht mehr wohnen würde, habe unter nicht ganz klaren Bedingungen ausziehnen müssen. Auch seine Eltern, die ich in Ermangelung besserer Ideen aufsuchte, hatten schon länger nichts mehr von ihm gehört, zumal sie in der kritischen Zeit auch vereist gewesen waren. (Glaubt mir, es ist herzzerreißend, wenn einem eine Mutter so etwas erzählt).
Ich wusste jedoch von einer öffentlichen Veranstaltung, die er regelmäßig aufzusuchen pflegte - so dass ich schließlich dort auflief und mich durchfragte, ob A. denn in letzter Zeit dort gewesen war. Und so fand ich ihn schließlich und erfuhr - recht wenig. Nur soviel, dass A. jetzt täglich bei verschiedenen Kumpels übernachtete. Wohnungslos, aber nicht obdachlos nannte das mal jemand. Auch eine feste Arbeitsstelle hatte er nicht mehr, wobei hier aber wohl ein abgeschlossenes Projekt ursächlich war (und sich die Vermutung hält, dass A. von der drohenden Arbeitslosigkeit so überwältigt war, dass er sich nicht rechtzeitig auf den notwendingen Ämtermarathon begeben hat, um seine Lebensgrundlage zu sichern). Über mich wurde der Kontakt zu anderen alten (Schul-)Freunden vor Ort hergesetellt, auch zur Familie. Eine Zeit lang ging es also wieder nach oben, bis es schließlich zum Zerwürfnis zwischen A. und seinen Eltern kam (es wird niemanden überraschen, dass auch hier die Gründe für außenstehende im Dunkeln geblieben sind). Seitdem lebt er - soweit ich weiß - seit mehreren Jahren nomadisch. Gelegentlich habe ich ihn bei besagter öffentlichen Veranstaltung aufgesucht. Aber letztendlich hatten wir uns gegenseitig in der Situation und auf einem öffentlichen Bürgersteig in Hörweite mehrerer seiner aktuellen Bekannten nicht wirklich wichtige Dinge zu sagen. A. besuchte jedoch noch die Rollenspielrunden eines Schulfreundes, die allerdings nur im mehrmonatlichen Rhythmus stattfanden und zu denen es auch einer weiteren Anreise bedurfte - und zu dem ich auch keinen Kontakt habe.

Vor knapp 18 Monaten habe ich A. das letzte Mal gesehen, vor etwas mehr als 12 Monaten war ich das letzte Mal in seiner Heimatstadt - wobei ich ihn aber nicht angetroffen habe. Seitdem war es mir nicht möglich, zur besagten Veranstaltung dort zu sein. Telefonnummer oder Postanschrift gibt es nicht, die Eltern erscheinen auch nicht als geeignete Ansprechpartner.

Heute wird A. 34 Jahre - ich hoffe mit ganzem Herzen, dass es ihm gut geht ...

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1: Als man crush bezeichnet man die (asexuelle) Faszination und Sympathie, die ein Mann einem anderen entgegen bringt (man würde von Freundschaft sprechen, wenn beide Männer die Sache gleich sehen würden). Mit anderen Worten: A. war der große Bruder, den ich gerne gehabt hätte - auch wenn er nur unwesentlich älter ist als ich.

[Momentan in Winamp: Cowboy Junkies - Sweet Jane]

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